Würth Literaturpreis
Finaltext des 27. Würth-Literaturpreises – Erschienen in der Anthologie zum Wettbewerb, Swiridoff Verlag
Deutschlandtrikot Größe M
Ich habe aufhören müssen, mich für Flugzeuge zu interessieren. Irgendwann konnte ich nicht mehr schlafen, weil ich ständig Angst hatte, dass ein SEK oder das FBI oder keine Ahnung was nachts die Wohnung stürmt, wie im Fernsehen. Ich hab mir immer wieder vorgestellt, wie die erst heftig gegen die Tür ballern, sie dann eintreten, mit zehn Mann in voller Montur rein laufen, rumschreien und du stehst dann da, in Boxershorts und weißt nicht mal, was los ist. Als ich acht war, hat mein Vater mir einen Modellbaukasten geschenkt. Seitdem war ich besessen, kannte bald jeden Flugzeugtyp der Welt, konnte jedes Bauteil benennen. Jetzt weiß ich das natürlich auch noch alles, aber ich kann mich nicht mehr auf dem Laufenden halten oder in die Foren mit den anderen Freaks im Internet. Ich meine, wenn ich so Sachen wie zum Beispiel »Schränkung« bei Wikipedia eingebe, weil ich an dem Artikel noch was ergänzen will, dann haben die mich doch sofort auf dem Schirm. Als gäbe es keine einfacheren Methoden. Hat man doch gesehen in Paris. Aber Hauptsache meine Tasche wird am Flughafen durchsucht, dann kann niemandem was passieren. Und außerdem: Als ob man dann erstmal zu Wikipedia geht, um sich zu informieren, wenn man so was vorhat. Aber keine Ahnung, wie die denken. Ich schau jedenfalls nichts mehr im Internet nach zu dem Thema, sicher ist sicher. Und offline auch nicht, da macht man sich ja erst recht verdächtig. Stattdessen google ich jetzt manchmal Sachen, die zeigen, dass ich keinen Scheiß machen will. »Babykleidung« zum Beispiel. Oder »Brokkoli gesund«. Irgendwie so was halt und dann stell ich mir vor, wie da einer vor seinem Rechner sitzt und das auswertet und sich denkt »Ach, schau mal, den kann ich ja von der Liste nehmen. Der will Familie, der achtet auf sich, der sprengt sich nicht in die Luft.« Ist natürlich Blödsinn. Ich weiß ja, dass das alles automatisch geht.
Im Kühlschrank ist nichts außer angetrocknetem Ja! Gouda von ich weiß nicht wann. Gehört mir auch eh nicht. Beim Durchsuchen der Küchenschränke finde ich eine Dose Erbseneintopf. Wahrscheinlich von irgendeinem Festival übrig geblieben. Ich gehe die Zutatenliste durch: 4,5 % Schweinefleisch. Also nicht Mama erzählen. Haha. Als hätte ich mir nicht erst gestern Nacht ne Riesencurrywurst aus 100 % Schweinefleisch reingezogen. Suff macht halt hungrig. Jan kommt verpennt in die Küche. »Morgen«. Draußen ist es schon wieder dunkel. »Gibt’s Kaffee?« Ich nicke Richtung Kaffeemaschine. »Wenn du welchen machst …« Jan verdreht die Augen und gibt Geräusche von sich, die mir zeigen sollen, was für einen krassen Kater er hat. Ich ignoriere ihn, selber Schuld. Nicht falsch verstehen, ich hab echt nichts gegen Alkohol, ich trink doch selbst beim Feiern, aber Jan muss es immer übertreiben. Demonstrativ schwerfällig führt er die Schritte aus, die zum Kaffeemachen notwendig sind. Ich sitze am Küchentisch, esse meinen mikrowellengewärmten Schweinefleischeintopf und schaue ihm dabei zu. Er nervt mich, aber ich hab keinen Bock auf Streit. »Mach mir einen mit, ja?«
Der Kaffee ist noch zu heiß, aber allein, dass er neben mir auf meinem Schreibtisch dampft, verströmt so eine motivierende Arbeitsatmosphäre. Und ich muss jetzt wirklich mal was tun für meine Bewerbungen. Die Lücke im Lebenslauf wird mit jeder Sekunde größer und am Ende denkt noch einer, ich war die Zeit in irgendeinem Ausbildungscamp. Vielleicht schreib ich mir das einfach mal so rein: Abitur 2010, Bachelor Studium der Betriebswirtschaftslehre 2010-2013, Master Studium Marketing 2013-2015, anschließend Auslandsaufenthalt in Afghanistan. Besondere Fähigkeiten: Ausgezeichnete Kenntnisse im Bombenbauen. Hobbys: U-Bahn fahren. Haha. Mann, das kann doch eigentlich nicht so schwer sein, so ein scheiß Bewerbungsformular mal auszufüllen. Aber es fängt ja schon mit dem ersten Feld an. Da gibt es doch längst Studien zu, dass Leute mit einem »ausländisch klingenden« Namen seltener zum Vorstellungsgespräch eingeladen werden. Hatten wir mal in der Arbeitsrechtsvorlesung. Da wäre ich damals am liebsten sofort aufgestanden und gegangen. »Tschüssi, ich bin dann mal raus, ist ja anscheinend sowieso egal, ob ich einen Abschluss hab oder nicht!« Hab ich natürlich nicht gemacht, hab’s mir aufgeschrieben, falls es in der Klausur dran kommt. Kam es aber nicht. Das war vor drei Jahren und ich kann mir nicht vorstellen, dass es besser geworden ist, im Gegenteil. Aber jetzt muss ich mich eh damit abfinden: Das Unternehmen, zu dem ich unbedingt will, macht keine anonymen Bewerbungen. Also tippe ich meinen Namen ein und drücke mir selbst die Daumen, dass da kein Rassist in der Personalabteilung sitzt. Oder einer, der zwar nicht weiß, dass er ein Rassist ist, aber trotzdem unterbewusst meine Bewerbung anders bewertet als die von Paul Meier. Am besten wäre einer von diesen »positiven Rassisten«, die einen bevorzugen, gerade weil man Ausländer ist. Wäre mir dann auch egal, Hauptsache, ich krieg den Job.
Der Kaffee ist kalt geworden, ohne dass ich einen Schluck davon getrunken habe. Die letzten paar Felder waren leicht, Straße, Hausnummer, Stadt, PLZ, Geburtsdatum, Telefonnummer, E-Mail-Adresse. Jetzt komm ich schon wieder seit bestimmt zehn Minuten nicht weiter: Staatsangehörigkeit. Das klingt jetzt ein bisschen doof, aber ich bin mir nicht ganz sicher. Also ich weiß schon, dass ich die deutsche hab, das auf jeden Fall. Aber das war damals so eine dumme Sache, ich bin echt zu einem bescheuerten Zeitpunkt geboren. Zwei Jahre bevor man sich nicht mehr entscheiden musste, hab ich die Staatsbürgerschaft meiner Eltern abgegeben. Abgeben müssen. Und dann haben sie das geändert 2014. Man kann jetzt also beide behalten, aber ich weiß halt nicht, ob man die abgegebene im Nachhinein automatisch wiederkriegt. Hab mich da bisher irgendwie nicht drum gekümmert. Ich war nie in Pakistan und ich will da auch nicht hin, also wozu der Aufwand. Aber muss ich das jetzt angeben, dass ich die mal hatte? Nicht, dass mir am Ende vorgeworfen wird, irgendwas verschleiern zu wollen. Der Moslem verschleiert doch so gerne. Haha.
Ich klopfe an Jans Tür. Er gibt einen Laut von sich, den ich als »herein « interpretiere. In seinem Zimmer riecht es immer ein bisschen eigenartig. Jan liegt im Bett, der Laptop auf seinem Bauch. Er schaut den ganzen Tag Serien, keine Ahnung, wann der mal was für sein Studium macht. Ingenieurwesen, krasse Durchfallquote, aber Jan meint, entweder kannst du’s halt oder nicht. Und er kann’s offenbar. »Sag mal, muss ich bei ner Bewerbung sagen, dass ich Pakistaner bin, obwohl ich wahrscheinlich nur die deutsche Staatsbürgerschaft besitze?« Jan drückt auf Pause. »Was heißt denn hier wahrscheinlich?« Ey, der soll nicht rumnerven, sondern mir einfach die Antwort geben. »Ja, keine Ahnung, also eigentlich bin ich mir ziemlich sicher. Aber muss ich da irgendwie sagen, wo meine Eltern herkommen?« »Das geht die nen Scheißdreck an.«, sagt Jan und drückt wieder auf Play. »Danke.« Ich schließe die Tür und gehe zurück in mein Zimmer. Also deutsch. Macht es nicht so einfach, weder für positive noch für negative Rassisten. Keine Ahnung, ob das gut ist. Auf der nächsten Seite soll man all seine Ausbildungs- und Berufsstationen angeben. Alle s klar. Abi, Studium, Praktikum, diverse Nebenjobs. Die zähl ich jetzt aber nicht alle auf hier, das interessiert die doch nicht in ihrer Marketingabteilung. Die wollen Lebensläufe mit klarer Linie. Deswegen muss ich mir auch noch was Gutes für die letzten Monate ausdenken. Die Wahrheit geht auf keinen Fall, dann doch lieber Ausbildungscamp. Ich meine, wie soll man das auch formulieren? Oktober 2015 bis Januar 2016 Aufenthalt in Bad Salzuflen. Als wär das Australien oder Thailand. Kein Schwein geht da freiwillig hin und man muss auch nur ein bisschen googeln, um zu wissen, was los ist. Wobei, ich könnte ja auch was Körperliches gehabt haben. Vielleicht sag ich das einfach, dass ich einen komplizierten Beinbruch hatte oder so was. Werde ich ja wohl nicht nachweisen müssen, oder?
Ich klopfe noch mal bei Jan. Er liegt genau so da wie vorhin. Diesmal drückt er gleich auf Pause und sieht mich fragend an. »Ganz kurz nur: Wie erklär ich das denn mit der Klinik? Ich kann ja wohl schlecht schreiben, was wirklich war, aber ich hab mir gedacht, dass die ja auch Reha machen nach Unfällen und …« »Schreib einfach ›Auszeit aus gesundheitlichen Gründen‹.« Jan kann manchmal wirklich nerven, aber er hat diese Sachen voll drauf. »Und schreib noch ›vollständig genesen‹ oder so was in der Art dazu, sonst denken die, du bist ein Krüppel und sortieren dich gleich aus.« »Alles klar, danke.« Ich schließe die Tür. Da gab es doch mal so einen Witz, irgendwas mit einer schwarzen lesbischen Frau im Rollstuhl oder so. Krieg ich jetzt nicht mehr zusammen. Egal. Ich setze mich wieder an den Schreibtisch und gebe ein, was Jan gerade gesagt hat. Auf einmal werde ich sehr müde. Es ist erst halb sieben. Eigentlich wollte ich das hier heute fertig machen. Aber als ich zur nächsten Seite klicke und sehe, dass ich erst bei Punkt 3 von 11 bin, speichere ich das Formular auf dem Rechner ab. Man darf sich nicht zu viel auf einmal zumuten, haben sie gesagt. Kleine Schritte gehen, stolz auf sich sein. Vollständig genesen. Im Traum frage ich Jan, welche Blattstärke Bewerbungen in Deutschland haben müssen. Er lacht mich aus, weil E-Mails keine Blattstärke haben und fragt, ob ich eigentlich irgendetwas alleine kann. Dann sitze ich in einem altmodischen Büro und warte darauf, dass mein Vorstellungsgespräch anfängt. Es kommt keiner. Da liegt plötzlich Jan hinter mir auf einem Sofa und bewirft mich mit Papierfliegern. Ich laufe vor ihm weg, aber meine Beine sind ganz schwer und ich komme kaum vom Fleck. Trotzdem schaffe ich es irgendwie in die U-Bahn. Alle starren mich ängstlich an, da merke ich, dass ich einen großen Rucksack dabei habe. Als die U-Bahn hält, steigen so viele Leute ein, dass ich hinaus gedrängt werde. Ich weiß nicht, wo ich bin, also versuche ich Jan anzurufen, aber er drückt mich immer wieder weg. Ich wache auf. Jan steht in meiner Zimmertür, er klopft nie. »Oh, sorry, schläfst du etwa schon?« Ich taste nach meinem Handy. »Wie spät ist es?« »Kurz nach neun, ich wollte Pizza bestellen, willst du auch?« Ich nicke. »Kannst ja gleich mal bei Dominos schauen, was du willst, ich bestell dann.«, sagt Jan und geht wieder raus. Ich klappe den Rechner auf, obwohl ich eh immer das gleiche nehme. Bevor ich Jan Bescheid gebe, google ich noch schnell »Deutschlandtrikot Größe M«.